Ein moderner Ansatz zur Schattenintegration
Summary
Für alle die, die sich für so wichtig halten und die ihr Leben so suboptimal managen, dass sie nie Zeit für irgendwas haben; aber auch für die, die es nicht gewohnt sind, mehr als eine Aktennotiz oder einen Bankauszug zu lesen, sei hier der Therapieansatz kurz zusammengerafft:
Wählen Sie aus Ihrem grossen Feindeskreis 10 Lieblings-A-Löcher aus, beschreiben Sie sie mit den Eigenschaften, die Sie so nerven, suchen Sie die Antonyme zu diesen Eigenschaften, füllen Sie den Platz zwischen den Gegensätzen mit möglichst vielen Abstufungen, relativieren Sie die Bewertung all dieser Eigenschaften und Abstufungen und kreuzen Sie alle die an, von denen Sie finden, dass Sie sie selbst auch schon mindestens einmal zu Recht lebten. Machen Sie eine Liste mit all den verbleibenden Eigenschaften, die Sie als nicht zu Ihnen gehörig empfinden – und Sie haben Ihren gerade aktuellen Schatten vor sich, zumindest einen wesentlichen Teil davon. Formulieren Sie diese Eigenschaften solange um, bis sie von der einseitig ablehnenden Wertung befreit sind und suchen Sie in sich solange, bis Sie sie zumindest ansatzweise in sich finden oder wenigstens soweit akzeptieren, dass Sie sich mit ihnen versöhnen können. Entlassen Sie die Lieblings-A-Löcher dankend aus ihrem Job, den sie für Sie gespielt haben. Dank dieser 'Schattenintegration' ist Ihre Ich-Identifikation gewachsen. Sie sind innerlich grösser – und mit grosser Wahrscheinlichkeit ein bedeutend angenehmerer Mensch geworden.
Sie möchten es genauer wissen?
Woher nehmen Sie die Zeit? Sie leiten wohl keinen Grosskonzern? Nur-Summary-Leser sind geistig meist etwas einfacher strukturierte Menschen. Gott oder das Schicksal oder wer oder was auch immer sorgt aber meist für ausgleichende Gerechtigkeit und gibt diesen etwas simpleren Zeitgenossen dafür irgendwelche 'Machtfülle' und meist auch viele Batzelis im Lohntütchen, sodass sie ihre geistigen Mängel besser verkraften – oder, wenn die Einfachheit genügend gross ist – gar nicht bemerken. Oft sind es Leute, die permanent wichtige – oder zumindest ihnen wichtig scheinende – Entscheidungen fällen. Das Fällen fällt ihnen meistens leicht, nicht weil sie so klug, sondern eher, weil sie so einfach sind, da sie ja mangels differenziertem Wahrnehmungsvermögen gar nicht belastet sind von all dem 'Wenn und Aber', das komplexer strukturierte Geister auf Hochtouren arbeiten lässt. Den Nur-Summary-Lesern muss man deshalb so etwas wie dieses Therapiekonzept gar nicht näher erläutern, im Gegenteil, es wäre verlorene Liebesmüh' oder im übelsten Fall kontraproduktiv, da ein solches Tiefergehen die gähnende Leere unter der Oberfläche aufdecken würde. Ihnen reicht ein Rezept, aufgrund dessen sie dann sofort entscheiden können, ob es etwas bringt oder nicht. Da die Eigentherapie meist länger dauert als der Zeitraum bis zu den nächsten Quartalszahlen, bringt es Vaselinen-Sellas & Co wohl eher nichts. Aber die kommen ja alle wieder, sagt mir ein sonnenwarmes Gefühl, weshalb ich sie auch gar nicht erst auf die Liste meiner Lieblings-A-Löcher notiere.
Das Therapiespielkonzept en détail
Das Spiel wurde natürlich bereits getestet, nicht wie bei Kosmetika und fröhlich wuchernden Krebszellen im Tier- sondern direkt im Menschenversuch. Gerade die Verweigerungen mitzuspielen und die teils abenteuerlichen, teils aber auch sehr durchsichtigen Begründungen für die Verweigerung sagen bereits unglaublich viel aus über den zum Spiel Eingeladenen. Sie anzuhören und etwas zu decodieren ist mithin ein Spass für sich.
Die Lieb-Nett-Anständigen
Geradezu schnuckelige Stolpersteine legen sich Probanden mit festgezurrtem Heiligenschein-Selbstbild in den Weg, das sich in Aussagen manifestiert wie "Ich bin immer lieb", "Ich habe keine Feindbilder", "Das Wort 'A-Loch' würde ich nie verwenden, schon gar nicht für meine Mitmenschen" etc. Hier helfen die jeder erfahrenen Mutter bekannten vier 'H's': Handauflegen, Heucheln, Hofieren und Harmlosmachen. Das Handauflegen kann als physische Zuwendung panische Erregung besänftigen, die angesichts der grauslichen Aussicht, Einsicht in die eigenen dunklen Abgründe nehmen zu sollen, aufkommen könnte. Heucheln, was die Nebenwirkungen der Therapie betrifft, Hofieren im Sinne von Ruhmes-Elogen zur seelischen Stabilität des Probanden und Verharmlosen, worum es wirklich geht bei diesem Spiel sind völlig legitime Massnahmen bei Mitspielern mit eher schwacher Persönlichkeit. Und das Festzurren eines gefälligen Selbstbildes ist ein untrügliches Zeichen für eine noch wenig entwickelte und instabile Persönlichkeit. Nur der Starke wagt es, sich und sein Selbstbild immer wieder zu hinterfragen und Wandel zuzulassen.
Nach den vier 'H's' können Sie den potenziellen Mitspieler sanft auffordern, zumindest 10 Menschen zu nennen, deren Wirken hienieden er/sie als wenig vorteilhaft beurteilt. Falls der Nochnichtmitspieler immer noch nicht bereit ist, das Brett vor dem Kopf kurz zu lüften, können Sie ihm Beispiele nennen. Fangen Sie ruhig bei ziemlich sicheren, altbewährten Treffern wie Hitler und Stalin an, bevor Sie sich an 'modernere', weitherum als feine Bösewichte anerkannte Gestalten wagen wie Milosevic, Bin Ladin, Mubarak, Ghadaffi et al. Sollte Ihr Nichtmitspielenwollender aber permanent lächeln bei der Aufzählung auch grauslichster und blutrünstigster Massenrassenmörderlis und immer wieder murmeln, den oder die bzw. dessen/deren Eigenschaften habe er/sie auch bereits in sich entdeckt, können Sie sich entspannt zurücklehnen und je nach Ihrer Genusspraxis einen feinen Tropfen kredenzen oder feierlich ein Nullkalorientoffuknäckebrot rüberreichen: der Kerl bzw. die Kerlin hat das Spiel bereits gespielt - und offenbar hocherfolgreich!
Die gehetzt-wichtigen "Was-bringt-de-Seich?"-Frager
Ebenfalls recht häufig - zumindest in der Schweiz, der geographischen Definition der Kosten-Nutzen-Analyse -, ist die im Spott über die 'Nur-Summary-Leser' bereits angetönte Haltung "Für solchen Seich (Schweizerdeutsch für eine bildlich an unpassendem Ort gelandete Mindestmenge von Urin nach Verlassen des Urinierenden) habe ich keine Zeit. Das bringt doch nichts!" - Diese meist nicht mehr ganz jungen Therapiespiel-Verweigerer, die meist generell nicht gern spielen, ausser mit Geld, Macht und Menschenleben, kann man zart-schmunzelnd auf den doch von den meisten als nicht ganz unwesentlich anerkannten Beitrag der Facebook- und Twitter-Spielereien bei den noch frischen Umwälzungen im arabisch-afrikanischen Raum hinweisen. Punkten können Sie vielleicht auch mit dem Hinweis auf die doch beeindruckenden macht- und wirtschaftspolitischen Implikationen, die Spiele wie Fussball oder der Formel 1-Zirkus zeitigen können. Und schliesslich könnten Sie bei den - wie gesagt meist etwas einfach strukturierten - Zeitgenossen auch ganz direkt auf die potenziell gewaltigen Wirkungen unserer A-Loch-Therapie hinweisen, die bei minimalsten Kosten und durchaus (zumindest am Anfang) mit Lustgewinn verbunden dazu führen kann, dass man ein angenehmerer, 'grösserer', höher entwickelter Mensch wird dabei. Nur: die Frage ist natürlich, wollen diese Typen überhaupt angenehmer werden? Grösser vielleicht schon, aber doch nicht innerlich, sondern äusserlich? Und streben sie Entwicklung an? Hmm, wenn die Entwicklung dazu führen sollte, dass sie ihre Position in der Gesellschaft, ihre Macht und ihr Geld nicht mehr so ernst nehmen - dann ist es gut möglich, dass sie diese 'Entwicklung' gar nicht anstreben. Dann können Sie sie aber auch mit gutem Gewissen dort lassen, wo sie gerade sind. Es ist keine Schande, etwas länger im geistigen Kindergarten zu verbleiben. Und es steht uns nicht zu - jedenfalls mir nicht, und ich spreche sogar dem grossen Rudolf Steiner die diesbezügliche Berechtigung ab - zu beurteilen, wann, wie und wo welcher Entwicklungsschritt zwingend zu erfolgen habe.
'A-Loch' vs 'Schatten'
Und sollten alle Stricke reissen und niemand in Ihrem Umfeld mag unser hübsches Spiel mitspielen - seien Sie getrost: das Tolle daran ist ja, dass man es auch allein spielen kann - und zwar durchaus mit Vergnügen. Es soll SpielerInnen geben, die in homerisches Gelächter ausbrachen dabei. Nicht nur beim Beschreiben der 10 übelsten Figuren, sondern auch am Schluss, bei der schlagenden Einsicht, dass wir immer nur auf uns selbst einschlagen, ja dass wir letztlich immer das eigene A-Loch meinen, wenn wir diese psychologisch interessante Reduktion von Mitwesen auf einen Körperteil vornehmen. Bei genauerem Hinsehen bemerken wir nämlich zwei Dinge: wenn wir nicht zirkusreife Akrobaten sind, sehen wir unser eigenes A-Loch nie direkt, sondern höchstens im Spiegel - und was der mechanische Spiegel für das Wahrnehmen des Körperlich-Materiellen, ist der psychologische Spiegel - unsere Umwelt, die 'Andern' - für die Erkenntnis des Innerlich-Geistigen. Kommt dazu, dass ein A-Loch gar kein Körperteil ist, sondern ein Nichts, eben ein Loch. Es existiert als Wahrnehmung nur durch sein Umfeld, den berühmten Ringmuskel. Übertragen wir auch diese Erkenntnis noch per analogiam auf die psychologische Ebene, dann sind unsere Lieblings-A-Löcher dasselbe: nichts! Zumindest nicht das, was sie für uns sind. Sie werden erst zu 'Lieblings-A-Löchern' durch unsere Wertung, die dem Ringmuskel entspricht, der das Loch umschliesst und erst zu einem wahrnehmbaren Loch macht. Verzeihen Sie die psychologisch-philosophischen Ausführungen zu diesem für viele tabuisierten Bereich, aber ich möchte damit begründen, warum ich den Begriff für markant geeigneter halte als den in der Schulpsychologie gängigen Begriff des 'Schattens'. Denn Ihren physischen Schatten sehen Sie sehr wohl. Er hat für die meisten nichts Grausliches, Verbotenes, Abgründiges an sich. Ausser einigen hochsensiblen Pferden habe ich noch niemanden erlebt, der über seinen eigenen Schatten erschrak. Die Hochstilisierung des Schattens zum unbewussten, nicht durchleuchteten Teil unseres Selbst basiert meines Erachtens mithin auf einem wenig geeigneten Bild.
Und noch was: Gerade wenn Sie es despektierlich, 'gruusig' finden, dass da einer ein ganzes Spiel rund um den Begriff des 'A-Lochs' herum baut - immerhin nehme ich so viel Rücksicht auf die etwas Sensibleren unter Ihnen, dass ich das laut Duden als familiär bis vulgär geltende Wort nicht ausschreibe - gerade dann ist das Therapiespiel besonders angesagt. Es geht dabei ja um all das, was wir abstossend, widerlich, grauenhaft und 'gruusig' finden. Der Trick ist, dass wir das alles aus dieser Wertung zu befreien und zu integrieren suchen mit dem Spiel - und es uns nachher nicht mehr belastet, im Gegenteil: schmunzeln oder homerisches Gelächter, je nach Naturell!
Auf Ihr Feedback freut sich wie immer info@marpa.ch